Yoko Ono und der lange Arm der männlichen Musikpresse

Leserbrief zum Artikel „Stellt euch bloß vor“ (Yoko Ono zum 90. Geburtstag), von Willi Winkler. 18.02.2023, Feuilleton, Süddeutsche Zeitung.

1965 hat Yoko Ono´s Performance „Cut Piece“ in Tokyo Premiere. Sie setzt sich hin, legt eine Schere vor sich, und jeder Besucher darf ein Stück ihrer Kleidung abschneiden. Lange vor Marina Abramovic macht Yoko Ono mutig ihren eigenen Körper zum Kampfplatz, zeigt so auf ganz einfache Art das Ausmaß und die Alltäglichkeit der Gewalt gegen Frauen und wie sie sie täglich still erdulden. Der Minimalismus eines scheinbar einfachen Konzepts, das ins Schwarze trifft – das wird ihr am Schnittpunkt von minimal art und Zen geschultes Markenzeichen.

Als John Lennon 1966 in London auf ihre Kunst trifft, erkennt er ihre Genialität sofort und findet in ihr eine kreative Partnerin, mit der er auf Augenhöhe agieren kann.

Es gibt einige kreative Frauen im Umfeld der Beatles (z.B. Astrid Kirchherr oder Pattie Boyd), doch nur Yoko Ono fordert eine öffentliche Präsenz auf Augenhöhe ein. Schon die erste Zusammenarbeit mit John Lennon wird eine in Vinyl materialisierte Forderung nach Gleichberechtigung: eine gemeinsame Backing Band und zwei LPs: John Lennon and the Plastic Ono Band sowie Yoko Ono and the Plastic Ono Band. Auch hier, in Songs wie „Why“ ist das Thema Gewalt gegen Frauen auf erschütternde Art präsent. Die männlichen Musikjournalisten finden es einfach nur schrecklich. Musikerinnen von Patti Smith bis Diamanda Galas wird sie zum Vorbild. Sie ist die erste, die ihren Schmerz auf Schallplatte herauszuschreien wagt.

Kurz davor haben sich die Beatles getrennt. Die vier Jungs haben sich zerstritten. Und wie kann es sich ein vom Machismo dominierter Musikjournalismus anders vorstellen als: eine Frau, eine Hexe muss Schuld sein! Dass die vier Beatles das selber zu verantworten haben, kann sich keiner von ihnen vorstellen, und die männlichen Fans übernehmen das Narrativ. Es wirkt bis heute. Auch Willi Winkler kann sich 2023 die Beziehung zwischen ihr und John Lennon nur dadurch erklären, dass sie John Lennon umerzogen habe, und unterstellt ihr, sie habe einen sugar daddy gesucht. Als Künstlerin verunglimpft er sie. Die Gewalt gegen Frauen, die Yoko Ono im Cut Piece spürbar werden liess, auch zu ihrem 90. Geburtstag wird sie ihr angetan, und die Süddeutsche lässt es geschehen. Warum ist dort niemand auf die Idee gekommen, Yoko Ono von jemandem würdigen zu lassen, der/die etwas von der weiblichen Perspektive im Kunst- und Musikbetrieb versteht? Yoko Ono macht bis heute bemerkenswerte feministische Kunst. Sie hat ihren Raum eingefordert, ihren Schmerz zur Kunst gemacht und damit den Künstlerinnen, die nach ihr kamen, viel Raum geschaffen. Sie ist echte Avantgarde, und das gilt es zu würdigen.

Holger Schwetter, Westerkappeln, 26.02.2023

Dieser Beitrag wurde unter article, Kunst, Musik veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Yoko Ono und der lange Arm der männlichen Musikpresse

  1. Anna Pallas sagt:

    Lieber Holger
    Ich danke dir für deine Worte. Yoko muss bis heute für den fatalen Yoko Ono (Eva) Effekt herhalten. Die Frage ist doch, wann hört die Darstellung der weiblichen bösen Verführerin endlich auf.
    Ich finde es großartig, dass du ein Gegenbild schaffst, was deutlich zeigt, dass in Zeiten von #metoo immer noch nicht verstanden wird, was Gleichberechtigung wirklich heißt
    Liebe Grüße
    Anna

  2. Erstaunlich, dass die Süddeutsche eine derart eindimensionale „Würdigung“ veröffentlicht. Umso wichtiger ist Dein Zurechtrücken, das das Wirken Yoko Onos in den passenden, wichtigen Zusammenhang stellt, der ihm gebührt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert