Vor einiger Zeit habe ich ein strategisches Experiment begonnen. Ich unterstütze den Feminismus mit kleinen, unauffälligen Maßnahmen und verwirkliche mich als White Man with Respect. Da lässt sich im Alltag eine Menge machen. Eine meiner ersten Maßnahmen: Ich habe für mich eine Frauenquote beim Plattenkauf eingeführt. Jedesmal, wenn ich Tonträger kaufe, ob beim Trödler, Second-Händler, Neuware oder mp3-Dateien: mindestens jeder dritte soll von einer Musikerin kommen.
Die Quote gilt seit Anfang des Jahres (und sie ist natürlich nicht freiwillig, da weiß ja jeder, es passiert nichts, sondern verpflichtend! 😉 Und sie wirkt und zeigt dabei einige unerwartete Auswirkungen. Die beiden Wichtigsten: Ich werde auf verschiedenste Art herausgefordert und mein Bewusstsein zum Thema Gender und Musik wächst deutlich. Von einigen Aha-Erlebnissen will ich im Folgenden berichten.
Das erste, was ich bemerkte, ist, wie wenig Musik von Musiker*innen ich bisher in der Regel kaufe. Fast alles stammt von Männern. Um die Quote zu erfüllen, muss ich richtig überlegen und suchen, was für mich interessant sein könnte. Zum Beispiel im März bei dem Trödler, der hauptsächlich Mainstream Musik aus den 1970er und 80er Jahren da hat. Auf der Männerseite werde ich schnell fündig, die Blue Monday Maxi von New Order, Billy Bragg und noch zwei, drei Rockplatten aus der DDR, City von City (in der BRD Pressung) und Karat. Aber auf der Frauenseite? Ich entscheide mich neben Lene Lovich´s Bird Song Maxi für Pop: Helen Schneider und das erste Album von Dee C Lee, Shrine.
Beim Hören derartiger Pop-Schallplatten fällt mir erst auf, welche Rollen die Sängerinnen meist gespielt haben. In vielen Texten singen die Frauen, sie seien nichts ohne ihren Angebeteten, Liebhaber, Mann usw. Lene Lovich macht´s ironisch, aber trotzdem – puuh… Ist doch klar, höre ich die Feministinnen sagen, das passt ins Bild der vorherrschenden unterwürfigen Frauenrollen. Sicher, der Gedanke ist mir vertraut, aber als Hörerlebnis wird die Theorie in eine Art von Erlebnis umgewandelt, das ich bislang zu vermeiden suchte. Und der Kontrast erscheint riesengroß, wenn beim nächsten Einkauf Joan Jett and the Blackhearts und Amanda Lear im Jutebeutel landen. Mir ist früher nicht aufgefallen, dass es in I Love Rock ´n Roll darum geht, wie eine Frau einen süßen Teenager anmacht.
„I saw him dancin‘ there by the record machine
I knew he must have been about seventeen
…
An‘ I could tell it wouldn’t be long
Till he was with me, yeah me…“
Was für ein provokanter Rollentausch, nicht nur 1981, sondern auch heute noch.
Oder Amanda Lear, die 1977 in Alphabet singt „and G of course, is for Getting a divorce“
Hm, wer Musik von Musiker*innen hört, erfährt also einiges über weibliche Perspektiven. Dass das für mich überraschend ist, erzählt mir, wie verinnerlicht und unbewusst ablaufend meine männlich geprägte Musikhörer Praxis ist. Das wiederum zeigt Macht und Sinn der Quote. Ich fange jetzt an, anders zu hören, meine Aufmerksamkeit verändert sich. Das funktioniert auch mit aktueller Musik. Neulich bei Shock Records mitgenommen: Gudrun Gut – Moment und Hugo Race – Taken by the Dream. Beide nehmen dezidiert gegenderte Positionen ein, in Texten, aber auch im Klangbild. Gudrun Gut selbstbewusst weiblich, Hugo Race selbstverständlich raunend männlich. Beide abwechselnd zu hören, ist wirklich lustig und ergibt einen ordentlichen Kontrast.
. Beide nehmen dezidiert gegenderte Positionen ein, in Texten, aber auch im Klangbild. Gudrun Gut selbstbewusst weiblich, Hugo Race selbstverständlich raunend männlich. Beide abwechselnd zu hören, ist wirklich lustig und ergibt einen ordentlichen Kontrast.
Und heute? Mal wieder Second Hand bei Fundament eingekauft: Pink Floyd, Nick Cave und Grace Jones. Das wird ein abwechslungsreicher Hörabend…