Das fragt sich vermutlich mancher Ticketkäufer. Und mit dieser Frage kam Anfang Januar über die GMM ein Redakteur des Radiosenders Deutschlandfunk Nova auf mich zu. Um sie beantworten zu können, startete ich kleine Recherche. Ich wollte mein Wissen auf den neuesten Stand bringen und musste feststellen: Zur Preiszusammensetzung von Online-Tickets gibt es kaum etwas im Netz und auch nicht in der Musikforschung. Also habe ich mich entschlossen, bei Praktiker*innen nachzufragen und einige vorläufige Erkenntnisse für die werten Leser*innen zusammenzustellen. Mein Blogeintrag stellt keine empirische Studie dar, sondern ist das Ergebnis einer Sichtung der Forschungsliteratur, einer Netz-Recherche und einer kleinen informellen Anfrage bei einem Konzertveranstalter und einem Musiker, der sich selbst vermarktet. Die Angaben dieser beiden Personen, die miteinander geschäftlich nicht verbunden sind, decken sich weitestgehend und werden hier als ein kleiner, hoffentlich aufschlussreicher Einblick in die mögliche Preisgestaltung von Konzerttickets präsentiert. Für wissenschaftlich belastbare Zahlen müsste eine größere Stichprobe hinzugezogen werden.
Der Beitrag folgt der Logik der Preiszusammensetzung und wird sich daher zuerst mit den Musiker*innen und Konzertveranstaltern, und danach mit den Onlinehändlern beschäftigen. Anschließend mache ich eine Modellrechnung und errechne idealtypisch die prozentuale Aufteilung eines online für ca. 30,- € gekauften Konzerttickets.
What´s up?
Über Preise für Konzerttickets wird viel gesprochen. Steigende Konzertpreise werden moniert oder es geht um die Frage, ob Online-Tickethändler wie CTS/Eventim angemessene Provisionen nehmen oder ob sie zuviel einstreichen. Im Hintergrund dieser und anderer Auseinandersetzungen steht eine Verschiebung der Einnahmen am Musikmarkt. Bis in die 1990er Jahre waren Tonträger wie Schallplatten und CDs die wichtigste Einnahmequelle für Künstler*innen und Plattenfirmen waren entsprechend mächtig. Das Livekonzert war eine Werbemaßnahme für den Verkauf von Tonträgern. Dies hat sich in den 2000er Jahren gewandelt. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Tonträgern sind massiv geschrumpft, der Handel mit mp3-Dateien und das Streaming haben (noch) keinen vergleichbaren Umfang erreicht. Heute ist es daher umgekehrt: Das Konzert stellt eine zentrale Einnahmequelle für Künstler*innen dar, und die Veröffentlichung von Songs und Alben ist eine Werbemaßnahme für die Liveauftritte.
Dieser Wandel wirkt sich nicht nur auf die Preise aus, sondern verändert auch die Machtverhältnisse im Musikmarkt. Neue Akteure entstehen und nehmen Einfluss auf das Geschehen. Einen interessanten Marker setzte Madonna, als sie sich 2007 entschied, statt mit einer Plattenfirma einen Vermarktungsvertrag für ihre Musik mit einem US-amerikanischen Tickethändler abzuschließen. Der deutsche Tickethändler CTS Eventim erwirtschaftete in 2017 erstmals über eine Milliarde Euro und damit über 25 % mehr als im Vorjahr.
Mit diesen Veränderungen beschäftigt sich auch die Popmusikforschung. Zum Aufstieg der großen US-amerikanischen Online-Tickethändler Live-Nation und Ticketmaster kann man beispielsweise hier einiges lesen. Zum deutschen Ticketmarkt gibt es bisher wenig Forschungen, und zu der spannenden Frage: wer verdient wieviel an einem Online-Konzertticket? gibt es kaum öffentlich zugängliche Quellen. Das liegt zunächst einmal daran, dass die Aufteilung der Einnahmen Gegenstand von Verträgen zwischen den beteiligten Unternehmen sind. Diese werden teilweise individuell ausgehandelt und unterliegen auf jeden Fall dem Geschäftsgeheimnis. Wie in allen Märkten bilden sich jedoch auch hier branchenübliche Standards und Gepflogenheiten, über die sich Forscher*innen in vertraulichen Gesprächen mit Marktteilnehmern informieren können.
Wie entsteht der Ticketpreis?
Die Grundlage der Preisgestaltung von Konzerttickets bildet der sogenannte Kartengrundpreis. Er wird zwischen dem jeweiligen lokalen Konzertveranstalter und dem Künstler oder seinen Vertretern vereinbart. Die Einahmen dieses Kartengrundpreises werden zwischen beiden aufgeteilt. Momentan sind dies meist Beteiligungsverträge: Der Konzertveranstalter erhält zur Zeit zwischen 40 und 50 %, das Künstlermanagement 50 bis 60 % der Einahmen. Von seinem Anteil muss der lokale Veranstalter alle lokalen Kosten tragen: Die Miete für die Konzerthalle, GEMA, Tontechnik, Unterbringung der Künstler*innen, Catering, lokale Werbung etc. Je nach dem, wie die Künstler*innen ihre Vermarktung organisieren, werden die anderen 50 bis 60 % an verschiedene Parteien verteilt. In der Regel übernimmt eine Booking-Agentur das Buchen und die Organisation der Tournee, hierfür nehmen die Agenturen 10 bis 20 % vom Künstleranteil am Kartengrundpreis. Der Rest bleibt für die Künstler*innen und weitere Partner, mit denen sie zusammenarbeiten. Wieviel davon tatsächlich bei ihnen ankommt, hängt davon ab, in welche Verträge mit weiteren Partnern sie eingebunden sind.
Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, spielen wir einmal zwei kontrastierende Fälle durch. Nehmen wir erstens eine*n selbständige Musiker*in, die sich selbst vermarktet. Wenn sie alles selbst organisiert, kommen diese 45 % bei ihr an. Sie muss mit dieser Gage den Hauptteil der Werbekosten bezahlen, die mit der Tournee zusammenhängen: Das Design und den Druck von Werbematerialien (z.B. Plakate), die an die lokalen Veranstalter verschickt werden. Dann muss sie überlegen, ob und wo sie weitere Werbung schaltet: auf Onlineportalen, in Printmagazinen, und sich um eine redaktionelle Begleitung der Tournee in Form von Interviews etc. kümmern. Meist wird eine Tournee zusammen mit der Veröffentlichung eines Musikalbums geplant, dann kommen noch Kosten für die Musikproduktion, Herstellung und Werbung für das Album hinzu, die auch (zumindest teilweise) durch die Einnahmen der Live-Auftritte refinanziert werden müssen. Um auf der Tournee weitere Einnahmen neben der Gage zu ermöglichen, werden Merchandising-Artikel hergestellt und auf der Tournee verkauft. Auch dies muss organisiert und vorfinanziert werden. Wenn die Künstler*in es schafft, genügend Einnahmen zu erwirtschaften, kann sie Menschen für diese Arbeiten bezahlen: eine Promotion-Agentur beauftragen oder ein Management, dass gegen Gehalt oder prozentuale Beteiligung die Organisation all dieser Aufgaben übernimmt.
Der kurze Überblick über die mit der Tourneeplanung zusammenhängenden Aufgaben macht klar, dass von außen nur schwer abzuschätzen ist, wieviel eine Künstler*in im konkreten Fall an einem Konzertticket verdient. Dies hängt (wie bei anderen Unternehmungen auch) vor allem vom Verhältnis der Tournee- und weiterer Kosten zu den Einnahmen ab.
Nehmen wir nun an, die Künstler*in hat einen Vertrag mit einer großen Plattenfirma. Bis in die 2000er Jahre hätte dies die Konzerteinnahmen nicht tangiert, weil die Künstler*innen Tourneen wie in Fall eins dargestellt organisiert haben. Die Plattenfirmen sahen Konzerte als Promotionsmaßnahme und damit als Kostenfaktor an, für der Finanzierung sie vielleicht einen Zuschuss beisteuerten. An den Einnahmen waren sie nicht beteiligt. Dies änderte sich in den 2000er Jahren aufgrund der sinkenden Einnahmen aus den Tonträgerverkäufen. Die großen Plattenfirmen erfanden den sogenannten „360 Grad Deal“, einen Vertrag, der Anteile an den Erlösen aus allen Aktivitäten verlangt, die mit der Vermarktung der Musik zusammenhängen, also auch aus den Konzerteinnahmen. Die Plattenfirmen begründen dies damit, dass sie nach wie vor die Hauptarbeit und Kosten tragen, um die bei ihnen unter Vertrag stehenden Künstler*innen bekannt (und die Konzerthallen voll) zu machen. Künstler*innen mit einem solchen Vertrag geben einen bestimmten Anteil ihrer Einnahmen aus Konzerten und Merchandising an das Label ab. Wie hoch dieser Anteil ist, bleibt in der Regel vertraulich und müsste im Rahmen einer Studie unter Marktteilnehmern erhoben werden. Gegenwärtig gibt es dazu keine verlässlichen Angaben. (Anm.: Bitte schreibt mir, falls ihr eine interessante Quelle kennt, die ich übersehen habe!) Die Verträge werden individuell ausgehandelt. In manchen Fällen übernimmt das Majorlabel auch Marketingkosten und Organisation der Tournee durch eine eigene Abteilung im Haus oder in Zusammenarbeit mit einem Konzertveranstalter (siehe das Beispiel Selig). Auch hier kann also nicht pauschal gesagt werden, wieviel am Ende für die Musiker*innen übrig bleibt.
Ein Rechenbeispiel
Was wir jedoch klären können, ist, wie hoch in der Regel der Anteil für das Künstlermanagement im Vergleich zum Gesamtpreis ist. Am Besten lässt sich dies an einer Beispielrechnung verdeutlichen. Wir machen die Rechnung für ein Konzertticket, das im Onlinehandel 30,40 € kosten würde. Dieses Ticket hat einen Kartengrundpreis von 27,- €. Davon bekommt das Künstlermanagement 45 % (60 % minus 15 % für die Booking-Agentur), das sind 13,77 €. Der Kartengrundpreis ist jedoch nicht der Endpreis für den Verbraucher: Auf diesen Preis schlagen die Kartenvorverkaufsstellen in der Regel 10 % auf – auch die Online-Plattformen. Hinzu kommen, gerade im Online-Bereich, noch verschiedene Gebühren, über die manche Portale versuchen, ihren Anteil am Gesamtpreis zu erhöhen. Eventim verlangt beispielsweise pro Ticket eine Systemgebühr von den Anbietern, aktuell ist dieser in 2 Stufen gestaffelt: 70 cent bei einem Kartengrundpreis bis 27,- €, 1,20 € bei teureren Karten.
Eine weitere Gebühr wurde im August 2018 in letzter Instanz vom Bundesgerichtshof gekippt: Eventim hatte für das Selbstausdrucken von Tickets am heimischen Computer 2,50 € Servicegebühr verlangt. Dies sah das Gericht als nicht gerechtfertigt an, da dem Unternehmen durch das Selbstausdrucken der Kunden zuhause keine Kosten entstehen.
Aktuell setzt sich der Preis für ein im Vorverkauf für 30,40 € verkauftes Konzertticket in dem für selbständig tätige Künstler*innen idealtypisch nachgezeichneten Fall wie folgt zusammen:
Online – Tickethändler | 11 % |
Lokaler Veranstalter | 36 % |
Booking – Agentur | 10,5 % |
Künstler*innen – Management | 10,5 % |
Künstler*in | 32 % |
Wie bereits weiter oben beschrieben, werden die prozentualen Anteile von Künstler*in und Management bei Verträgen mit Major-Plattenfirmen anders aufgeteilt, der Rest ist vergleichbar. Der Einfachheit halber wurden der Aufteilung die Bruttosummen (also inkl. Umsatzsteuer) zugrunde gelegt.
Fazit
Ist die Zusammensetzung des Online-Preises für Konzertkarten nun gerechtfertigt? Der Konzertmarkt ist generell kein leichtes Geschäft, hier wird mit harten Bandagen gekämpft, auch wenn steigende Einnahmen zu verteilen sind. Der klassische „Door Deal“, nachdem die Einnahmen zwischen Künstlermanagement und Veranstaltern aufgeteilt werden, hat sich bewährt, aber die Prozentanteile verändern sich. Waren in den 1990er Jahren noch 70/30 Aufteilungen üblich, so sind es heute 60/40 bis 50/50 mit weiter steigender Tendenz des Anteils der Veranstalter. Zudem verlangen immer mehr von ihnen, dass die Künstler*innen ihre Übernachtung selbst organisieren und bezahlen. Diese Verschiebungen weisen auf Veränderungen im Konzertmarkt hin. Die Gründe dafür müssten erforscht werden. Möglicherweise zeigen die Veränderungen steigende Kosten und/oder zunehmende Macht auf der Veranstalterseite an. Die 10 % plus für die Online-Kartenhändler sind ebenfalls in Bewegung, dieses Segment ist heiß umkämpft. In den USA hat eine Studie zu Live-Nation ergeben, dass dort bis zu 25 % des Ticketpreises an die Verkaufsplattform gehen. Dies ist ein sicherlich viel zu hoher Anteil, wenn man bedenkt, dass der Verkauf im Kern lediglich eine automatisierte Dienstleistung darstellt. Generell gilt: Je größer die Tendenz zum Monopol ist, umso höher ist der Anteil, den der Onlinehandel abschöpfen kann. Die Marktführer in den USA haben dies erreicht, indem sie exklusive Verträge mit Veranstaltungsorten und Veranstaltern geschlossen haben. Wer über einen solchen Anbieter Karten verkauft, darf sie nicht bei anderen Plattformen anbieten. Eben solche Verträge hat das Bundeskartellamt 2017 dem deutschen Anbieter CTS Eventim untersagt.
Der Einfluss von Eventim ist in den letzten stark gewachsen. Dabei geht es nicht nur um den Verkauf, sondern auch um Einfluss im Marketing: Konzert-Tourneen, die Eventim über seine Webseite oder Newsletter an seine vielen Kunden bewirbt, haben einen klaren Vorteil. Über Werbeverträge mit Konzertagenturen kann Eventim zusätzliche Einnahmen generieren und Einfluss am Musikmarkt aufbauen. Die Entwicklung im Online-Ticketverkauf ist im Fluss. Wie auch an anderen Märkten können die Konsument*innen eine eventuelle Monopolbildung verlangsamen, indem sie Tickets auch bei kleineren Anbietern kaufen.
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