Mir ist da etwas aufgefallen, was das Cover des aktuellen Christian Steiffen Albums »Ferien vom Rock´n Roll« betrifft. Es hat eine große Ähnlichkeit mit dem Cover der LP »Balls to the Wall« der deutschen Rockband Accept aus dem Jahr 1983. Ich habe die Bilder mal zusammengefügt und siehe da, sie „passen“ gut zusammen: der Saum von Motorradlederjacke und Nierengurt verläuft in identischer Höhe. Linkes Bein, rechtes Bein, der Zoomfaktor und die Höhe des Ausschnitts passen nicht ganz – geschenkt.
So eine strukturelle Ähnlichkeit fordert zu einer gemeinsamen Besprechung heraus, schließlich packt man auch gerne Wörter zusammen, die sich reimen, auch wenn sie einen völlig anderen Sinn tragen.
Wenn wir vom anderen Sinn ausgehen, sollten wir damit beginnen, über Abstände zu sprechen. Von »Balls to the Wall« zu »Ferien vom Rock´n Roll«, das sind zunächst einmal 33 Jahre zeitlicher Abstand. Biographisch bedeutet das für mich: Meine erste Hardrock-Schallplatte. Abhängen mit Kumpeln auf dem Spielplatz im Dorf, Bier trinken. Christian Steiffen, das ist die Gegenwart, über ihn wird in Familie und Freundeskreis manchmal erregt diskutiert. Ist das nun Schlager oder nicht? Ist seine Musik ironisch genug, um einen Abstand zum Schlager deutlich zu markieren? Wie nehmen ihn wohl seine Fans wahr?
Eines ist klar: Christian Steiffen ist ironisch, aber selten zynisch. Er inszeniert sich als Egomanen und thematisiert die B-Seiten menschlicher Beziehungen, über die man sonst gerne schweigt. Zum Beispiel auf dieser Platte mit dem Song „Du und Ich“. Zwei Menschen verlassen spät nachts die Party und gehen miteinander ins Bett, obwohl sie sich eigentlich nicht ausstehen können. In den 90ern nannten manche das abschätzig „Reste ficken“; aber wie das so ist, wenn zwei Reste sich entschließen, wird meines Wissens nach selten besungen (Wer Beispiele weiß: bitte gerne per Email an mich).
Auch der Titel des neuen Albums »Ferien vom Rock´n Roll« wird auf dem Cover ironisch in Szene gesetzt. Motorradlederjacke und Totenkopfring werden mit bunt gemusterter Badehose kombiniert, die Hand ist locker in die Hüfte gestemmt. Der Machoeffekt wird abgebremst und aufgefangen.
Gänzlich ironiefrei, stattdessen bierernst kommt dagegen das Cover von Accept daher. In schwarz-weiß, Nierengurt unter der offenen Lederjacke, Unterhose statt Badehose, ein dramatisch inszeniertes stark behaartes Männerbein. Die Hand in wachsamer Spannung, bereit zum zuschlagen. In der Hand eine Stahlkugel, die den Schlag noch härter machen wird. Der Albumtitel »Balls to the Wall« evoziert eine Situation, in der jemand mit dem Rücken zur Wand steht. Diese Wand ist hinter der abgebildeten Person zu sehen. Im gleichnamigen Titelsong verbinden Accept die aggressive Rockerpose mit einem allegorischen Aufstand der Unterdrückten: die Sklaven und all die Gefolterten werden eines Tages aufstehen, ihre Ketten abwerfen und Dich, werten Hörer, an die Wand stellen: sie werden dein Blut trinken. Drastische Worte in monumental-düsterer Bildsprache. Alles wird bemüht, was das gängige englisch zu bieten hat: rape, murder, torture, flesh, bondage, chains, the damned…
Christian Steiffen hingegen wünscht sich »Ferien vom Rock´n Roll«. Das heisst für ihn: aufhören mit Party machen, endlich mal schlafen gehen und vorher einen Tee und keinen Schnaps trinken. Aber so ein Entschluss will natürlich gefeiert werden und dann geht die Party los und man merkt ziemlich schnell: es wird nichts werden mit den Ferien. Für Christian Steiffen geht es um den alten Dreiklang von Sex & Drugs & Rock’n’Roll, ums „über die Stränge schlagen“. Die Musik von Accept atmet die düstere, dystopische Stimmung der frühen 80er Jahre, Christian Steiffen feiert den Weltuntergang hingegen in seinem Song »Viva la Evolution«. Er scheint überhaupt alles zu feiern.
Accept setzen ironiefrei Härte und Männlichkeit gegen eine harte Welt, aber sie überraschen auch. Der Song „Love Child“ handelt davon, wie der Sänger sich in der überraschenden Situation befindet, einen Mann sexuell verdammt attraktiv zu finden, und von der emotionalen und mentalen Konfusion überrollt wird, die das auslöst.
Wenn man nur die beiden Cover kennt und nebeneinander hält, könnte man meinen, die Welt sei in den letzten 33 Jahren eine bessere geworden: der Macho kann über sich selbst lachen. Kann er auch, und er kann benutzt werden, um uns etwas über den Wahnsinn von heutiger Ich-Optimierung und Selbstvermarktung des Individuums zu erzählen.
Eine andere Möglichkeit ist es, die beiden Cover als Yin und Yang männlicher Posen zu lesen. Denn der Kampfeswille, die Untergangsstimmung und die archaischen Bilder sind immer noch da, präsent sind sie vor allem in der rechten Szene. Ob eine ironische Haltung als Gegenpol ausreicht oder ob auch andere mal ihre Distanz aufgeben und sich wieder der Anstrengung aussetzen sollten, politisch zu handeln, wird sich noch zeigen.