Michel Bauwens hat in seinem Artikel „the political economy of peer production“ die Arbeit an Open Source Projekten als 3. Modus der Produktion bezeichnet. In Open-Source-Projekten wird seiner Meinung nach Erwerbsarbeit durch Aktivität und Warenwert durch Nutzwert ersetzt. Dies weiter denkend schlage ich vor, das Konzept der Innovation durch das der Relevanz zu ersetzen. Neuheit bezieht sich letztendlich immer auf das marktwirtschaftliche Konzept ständiger Modernisierung als Quelle für ständiges Wachstum, solange dies ein grundlegendes Systemkonzept ist.
Auf der Suche nach einer alternativen wirtschaftlichen Dynamik gilt es, dieses Konzept hinter sich zu lassen. Relevanz ist ein Konzept, das nach der Beziehung von den Nutzern zu den Objekten, Angeboten und Dienstleistungen fragt. Worin und warum investiere ich meine knappe Zeit? In Dinge und Projekte, von denen ich möglichst lange etwas habe – das wäre rational. Der Begriff der Relevanz ermöglicht es, die gewünschte Dauer einer Beziehung in die Betrachtung mit einzubeziehen. Wenn ich etwas auf Dauer nutzen kann, erhöht dies den Nutzwert des Kommunikationsmediums, des Produktes oder der Dienstleistung. Dies wird auch dort deutlich, wo es darum geht, selbst etwas zu schaffen. Sprich, aktiv zu werden, sich einzubringen, an etwas mitzubauen. Niemand investiert gern Zeit und Geld, wenn er nicht davon überzeugt ist, dass es für ihn relevant ist und eine ausreichende Wahrscheinlichkeit birgt, auch in Zukunft noch da zu sein. Dies ist für Open Source Projekte essenziell, gilt aber für alle Bereiche der Aktivität, Sprich Arbeit außerhalb von Lohnarbeit.
Wie entsteht neue Relevanz in den neuen Medien? Das ist eine Frage, die alle, die Inhalte verbreiten wollen, brennend interessiert und die Schnittmenge zur Frage nach der Innovation. Wie kann ich Wichtiges von Unwichtigem trennen und solche Trends voraussagen? Darum geht es in der Netzwerk-Mathematik und in der Entwicklung von Software zur Datenanalyse von Kommunikation auf digitalen Plattformen. Wie erfahre ich möglichst früh von neuen, relevanten Entwicklungen? Das ist das Wissen, mit dem Google und Facebook ihr Geld verdienen. Davon bin ich überzeugt, auch wenn in der öffentlichen Diskussion meist davon gesprochen wird, sie verdienen ihr Geld mit Werbung.
Ich bin bestimmt nicht der Erste, der solche Gedanken spinnt. An Informationen zum Thema Relevanz und wirtschaftliche Dynamik bin ich sehr interessiert. Den Anstoß zu meinen Überlegungen gab übrigens ein ganz praktisches Problem: wo immer ich Projektanträge stelle oder von Unterstützungsmöglichkeiten für interessante Projekte höre, ist das Kriterium der Innovation momentan ein Todschlagskriterium. „Wir fördern laut unseren Förderrichtlinien nur Projekte, die innovativ sind; wenn etwas drin ist, dass noch nie vorher von jemandem unterstützt wurde.“ Wie langweilig. Und es geht am Kern der Dinge vorbei. Ein Projekt wird doch nicht automatisch schlecht, nur weil jemand vorher und woanders schon mal etwas ähnliches gemacht hat. Im Gegenteil, Nachahmung und Bezugnahme sind Standardtechniken gesellschaftlicher Entwicklung. Wieviel sinnvoller wäre es, bei der Verteilung von Fördergeldern das Kriterium der Relevanz in den Mittelpunkt zu stellen. Es ginge dann darum, etwas zu tun, dass eine Bedeutung entwickeln kann, und man hätte einen Maßstab, der die Beteiligten dazu zwingt, inhaltliche Kriterien aufzustellen und offen zu legen.
Im schlimmsten Fall (und leider ziemlich häufig) dient Innovation als Deck-Argument für intendierte Veränderungen, die ohne inhaltliche Diskussion positiv belegt werden sollen. Der Begriff der Relevanz liegt hingegen näher an der Frage „für wen?“. Gesellschaftliche Diskussionen zur Frage der Relevanz gehen tiefer als solche zur Frage der Innovation, bei der es oft reichen soll, dass überhaupt Innovation drin ist.